Die Letzte-Meile-Logistik im E-Commerce – Herausforderungen und Lösungsansätze

Der Onlinehandel hat in den vergangenen Jahren ein beachtliches Wachstum hingelegt. Besonders der B2C-Bereich verzeichnet massive Wachstumsraten und lässt den B2B-Sektor weit hinter sich zurück. Laut dem Statistik-Portal Statista hat sich der Umsatz im E-Commerce (B2C) in 2016 auf 44 Milliarden Euro gesteigert und sich somit im Vergleich zu 2010 nahezu verdoppelt. Mit dem steigenden Bestellaufkommen in Privathaushalten stieg auch unweigerlich der Bedarf an Kurier-Express-Paket-Dienstleistungen (KEP). Einige Transportdienstleister haben sich durch den Boom auf die Lieferung speziell für Privatsendungen konzentriert und dadurch profitiert. Doch nun stehen sie vor neuen Herausforderungen.

Die letzte Meile – ein erheblicher Kostenfaktor

Besonders die letzte Meile, also das letzte Wegstück beim Transport der Ware vom Depot des Paketdienstleisters zur Haustüre des Kunden, stellt häufig ein großes Problem dar. Der Grund hierfür scheint paradox: Demografisch bedingte Faktoren, wie die wachsende Mobilität und die steigende Anzahl an berufstätigen Frauen sowie Single-Haushalten, wirken wie ein Wachstumsbeschleuniger für den Online-Handel. Gleichzeitig sinkt dadurch die Wahrscheinlichkeit der persönlichen Entgegennahme, denn der Empfänger ist oft nicht zu Hause anzutreffen. Aber nicht nur die erfolglosen Zustellversuche machen die letzten Meter zu einem Dauerthema für die KEP-Dienste. So oder so sind die Sendungen an Privathaushalte vor allem eines: teuer. Durch die kleinen Liefermengen und verteilten Anlieferpunkte lassen sich die Waren kaum bündeln. Dadurch verursachen sie mehr als 50 Prozent der Gesamtkosten und sind damit der größte Kostenfaktor bei Paketlieferungen.

Kurz vor dem Kollaps: dringender Bedarf an Lösungen für die City-Logistik

Während die Kostenfrage der letzten Meile vornehmlich die Paketdienstleister betrifft, tritt in den Ballungszentren ein weiteres Symptom des florierenden Onlinehandels immer deutlicher hervor. Zusätzlich zu der ohnehin schon großen Masse an PKW reihen sich nun auch immer mehr Zustellfahrzeuge ein. Inzwischen sind es so viele, dass diese bis zu 30 Prozent des Verkehrs innerhalb der Städte ausmachen und für rund 80 Prozent des Staus sorgen. Das ist vor allem deshalb eine große Belastung, da die Transporter neben Lärm auch eine große Menge Abgase produzieren. Dadurch leidet nicht nur die Umwelt, sondern auch die Produktivität der Lieferdienste. Staus kosten so viel Zeit, dass Fahrer ihre Touren kaum schaffen können. Zudem fehlt es in den dicht besiedelten Gegenden an Halteplätzen. Das Zustellen der Pakete ist deutlich erschwert und die in zweiter Reihe stehende Fahrzeuge werden zum Verkehrshindernis.

Variante „Kunde zur Ware“: klarer Vorteil für die Lieferdienste

In der Folge wächst der Unmut – bei den Kunden sowie den Zustellern. Daher feilen sowohl Logistikdienstleiter als auch andere Anbieter an Lösungen speziell für die letzte Meile in der urbanen Logistik. Dabei sind grundsätzlich zwei Konzepte zu unterscheiden: diejenigen, die den Weg des Kunden zur Ware vorsehen und umgekehrt. Unter ersteres fallen beispielsweise die schon längst etablierten Paketshops und Packstationen. Der Vorteil für die Zusteller dabei ist, dass sie die Sendungen gebündelt abliefern können und der Empfänger der Ware nicht persönlich anwesend sein muss. Für den Kunden bedeutet diese Variante jedoch, dass der Erhalt mit zusätzlichen Wegen und Zeit verbunden ist. Somit ist der mit dem Online-Kauf verbundene Komfort praktisch wieder hinfällig. Dieser ist jedoch der Hauptgrund für den Großteil der Kunden, Waren nach Hause zu bestellen.

Sichere Lieferung an die Haustür – auch bei Abwesenheit des Empfängers

Während der Empfänger für eine Zustellung an die Haustür bisher anwesend sein musste, ermöglichen Paketschrank- oder Paketbox-Systeme eine sichere Auslieferung, selbst wenn der Kunde nicht zu Hause ist. Mehrfache Anfahrten werden so vermieden. Wie bei einer Packstation, können die Sendungen hier vom Zusteller in den Behälter eingelegt und verschlossen werden. Diese Lösungen eignen sich sowohl für Eigenheimbesitzer als auch für Kunden in Etagenwohnungen, da sich die Systeme entweder vor der Haustür oder direkt an der Wohnungstür befestigen lassen. Der Nachteil für den Konsumenten ist allerdings, dass er eine entsprechende Box selbst bezahlen muss und die jeweiligen Box-Systeme meist nur von einem KEP-Dienstleister bedient werden können.

Als weitere Lösung bieten Lieferdienste immer häufiger eine Zustellung in einem bestimmten Zeitfenster. Diese Zustellalternative wird zusätzlich durch Benachrichtigungen per Mail oder SMS unterstützt. Damit haben sich viele KEP-Dienstleister auf die Wünsche ihrer Kunden eingestellt.

Höhenflüge bei der Paketauslieferung

Neben den vergleichsweise einfachen Service-Erweiterungen, machen sich andere, neue Konzepte auf, den Luftraum zu erobern. Paketdrohnen wurden bereits von mehreren Logistikunternehmen erfolgreich erprobt. Die fliegenden Paketboten sind besonders für den Einsatz in entlegenen und nur schwer zugänglichen Regionen oder für eilige Medikamentenlieferungen nützlich. Ob sie den „klassischen“ Lieferdienst ersetzen können, ist bei über zwei Milliarden Paketsendungen pro Jahr allein in Deutschland unwahrscheinlich. Auch die technischen Gegebenheiten, wodurch die Drohnen nur relativ kurze Distanzen mit geringer Beladung überwinden können, machen die Flugroboter derzeit nicht zu einer realistischen Alternative. Zudem sind in Deutschland Drohnenflüge über längere Strecken für kommerzielle Zwecke nicht zugelassen. Selbst in den USA ist der kommerzielle Einsatz von Drohnen nur unter streng geregelten Voraussetzungen erlaubt.

Beim Einzelhandel abgeschaut: das Warehouse-Prinzip

Auch deshalb werden weitere, „bodenständige“ Konzepte erarbeitet, die die Last Mile effektiver gestalten sollen. Darunter zählen beispielsweise City Hubs sowie deren mobile Variante. Diese Konzepte basieren auf dem Prinzip von Warenhäusern, die entweder stadtnah oder – im Falle des mobilen City Hubs – in unmittelbarer Nähe der Empfänger platziert sind. Diese Form der Zustelllogistik kann prinzipiell in bestehende Prozesse der KEP-Dienstleister integriert oder auch als unabhängige Serviceleistung genutzt werden. Immer beliebter werden zudem IT-basierte Lösungen, die beispielsweise Versender und Kurierfahrer miteinander verknüpfen. Die im Internet bestellte Ware kann so innerhalb kurzer Zeit zum Empfänger transportiert werden. Bisher sind diese Kurier-ähnlichen Lösungen vor allem im Food-Bereich im Einsatz. Selbst Privatpersonen können sich über spezielle Plattformen als Transportdienstleister anbieten und Kurierfahrten übernehmen.

Jede Fahrt zählt: den Dropfaktor erhöhen

Wiederum andere, betreiberunabhängige Dienstleistungen konzentrieren sich beim Überwinden des Last-Mile-Problems darauf, sämtliche Lieferungen an den Empfänger zu bündeln und an eine einzige Adresse zu liefern. Durch diese Lösungen entfallen die Wege zu unterschiedlichen Lieferstationen, wie Privatadresse, Paketshops und Packstationen. Kunden sowie Zustellern bleiben dadurch ein großer Zeitaufwand und mehrere Wege erspart. Je nach Anbieter werden die gesammelten Lieferungen innerhalb eines bestimmten Zeitfensters oder – wie besonders von Berufstätigen gewünscht – direkt und offiziell zur Arbeitsstelle geliefert. Ermöglicht wird dies beispielsweise durch spezielle cloud-basierte Systeme. Diese bieten die Grundlage für das professionelle Handling der privaten Pakete im Unternehmen.

Neben diesen Konzepten, sind noch unzählige weitere Konzepte weltweit bereits im Einsatz oder werden noch erprobt. Welche sich letztendlich als die idealen Lösungen für das Problem der letzten Meile durchsetzen werden, muss sich noch zeigen. Sicher ist nur eines: Sowohl der E-Commerce als auch die Großstädte werden weiter wachsen, weshalb neue Lieferkonzepte dringend benötigt werden. Das Problem ist allerdings nicht allein Sache der KEP-Dienstleister. Um neue Lösungen erfolgreich durchsetzen zu können, müssen Politik, Logistik und Handel an einem Strang ziehen, damit sie auch tatsächlich umgesetzt werden können.

 

Weitere Informationen zur wegeoptimierten Logistik finden Sie in dem Beitrag: Die Händlerintegration (Ship-from-Store).

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