Das Variantenmanagement

Beim Variantenmanagement geht es darum, die Variantenvielfalt eines Produkts über dessen gesamten Lebenszyklus so ‚lean‘ wie möglich zu gestalten. Dies betrifft die Produktentwicklung, Beschaffung, Produktion, den Vertrieb und die Entsorgung. Die Verhinderung, Reduzierung und Optimierung der Variantenvielfalt stehen dabei im Vordergrund (siehe auch Ökodesign-Richtlinie). Es gilt der Leitsatz: Wer für jeden Kundenwunsch ein Produkt anbieten möchte, läuft Gefahr, bald über eine variantenreiche Angebotspalette zu verfügen. Diese führt zu einer hohen Komplexität der Geschäftsprozesse und zwangsläufig zu höheren Kosten*.

Die Relevanz des Variantenmanagements nimmt zu, je mehr Komplexität mit den Produktvarianten einhergeht. So bietet ein T-Shirt, das es in drei Farben und vier Größen gibt, zwar eine Variantenvielfalt aber nahezu keine Komplexität. Im Gegensatz dazu stellt ein Auto, welches es in der Regel in unzähligen Varianten gibt, eine Herausforderung dar in der Beherrschung der entstandenen technischen Komplexität und Variantenvielfalt.

Interne und kundenerlebbare Variantenvielfalt

Die Varianz eines Produkts hat dabei zwei Perspektiven. Einerseits gibt es die interne Varianz, also jene innerhalb der Herstellungsprozesse und andererseits die kundenerlebbare Varianz. Letztere kommt beispielsweise zum Ausdruck, wenn sich ein Kunde online bei einem Autohersteller einen Neuwagen konfiguriert. Die zahlreichen Konfigurationsmöglichkeiten spiegeln nicht zwangsläufig die interne Varianz wider. So kann eine bestimmte Funktion, die die Konnektivität betrifft, in allen Varianten verbaut sein, aber nur bei der Entscheidung für ein spezifisches Connectivity-Paket wird diese Funktion freigeschaltet, also aktiviert. Der Kunde sieht somit nicht, dass er sich für eine Variante entscheiden kann, die aus Sicht der Produktion gar keine ist. Genau anders verhält es sich, wenn für die Konfiguration des Kunden eine von drei Varianten des Kabelbaums verbaut wird. Hier besteht eine interne Varianz, die sich auf die Beschaffung und Produktion auswirkt, für den Kunden aber nicht sichtbar ist.

  • Beispiel 1: Intern keine Varianz, für den Kunden relevant: Der Kunde konfiguriert sein neues Auto ohne Sitzheizung. Sein Auto wird allerdings dennoch mit Sitzheizung ausgeliefert. Diese ist allerdings deaktiviert. Hätte der Kunde eine andere Konfiguration gewählt, beispielsweise das Winterpaket, wäre womöglich die Sitzheizung inklusive und freigeschaltet. Zudem ist wahrscheinlich eine nachträgliche Freischaltung der Sitzheizung möglich.
  • Beispiel 2: Interne Varianz, für den Kunden keine erlebbare Wahrnehmung: Kunde konfiguriert sich einen Wagen. Der Wagen mit Turbolader setzt auf den Kabelbaum A, der Wagen mit Kompressor auf den Kabelbaum B und Wagen drei mit Saugmotor setzt auf den Kabelbaum C. Der Kunde weiß in der Regel nicht, dass der Wagen mit dem Kompressor über einen anderen Kabelbaum verfügt, als Wagen eins und drei – ihn interessiert nur die Technologie, nicht die technische Umsetzung.

Mähdrescher: individueller und komplexer

  • Beispiel 3:Während in der Automobilindustrie das Variantenmanagement und damit verbundenes Produktmanagement sehr standardisiert sind, so stellt sich die Komplexität und deren Beherrschung in anderen Branchen als noch relevanter und individueller dar. Paradebeispiel hierfür ist der Maschinenbau. Individuelle Ausführungen, hoher Stückpreis, geringe Stückzahlen und spezielle Anwendungen ergeben zusammen die Notwendigkeit für ein umfassendes Variantenmanagement. Beispielsweise ist ein Mähdrescher eine sehr große Maschine, kostet mehr als ein Einfamilienhaus und bietet rund 10.000 Variationsmöglichkeiten, die sowohl gegenüber dem Kunden darstellbar und für die Produktion umsetzbar sein müssen. Und das immer wieder aufs Neue, bei jedem einzelnen Endprodukt.

Variantenvielfalt und Vertrieb

Wenn ein Vertriebsmitarbeiter im Verkaufsgespräch zusammen mit dem Kunden ein Auto konfiguriert, dann geht es nicht nur darum, die Variantenvielfalt, die einzelnen Optionen oder Kombinationsmöglichkeiten darzustellen. Es ist ebenso wichtig, länderspezifische Konfigurationen, die etwa bestimmte sicherheitsrelevante Ausstattungsvarianten vorgeben, zu berücksichtigen, genauso wie andere individuelle, funktionale Varianten, um sie dann zu bepreisen und schließlich in einem Angebotsdokument zusammenzufassen. Bei solch variantenreichen und kundenindividuellen Produkten wie Autos würde der Prozess der Angebotserstellung enorm viel Zeit in Anspruch nehmen. Um die Prozessabschnitte Produktion, Vertrieb, Nachschub softwaretechnisch zusammenzuführen und somit optimal zu verzahnen, setzen Anbieter daher auf sogenannte Configure-Price-Quote-Systeme, kurz CPQ. Sie tauschen ihre Informationen automatisch mit CRM-Systemen aus und können sogar direkt mit einem ERP-System kommunizieren und so zum Beispiel die oben erwähnte Konfiguration direkt an die Produktion weiterleiten.

Variantenmanagement und Beschaffungslogistik

Im Zeitalter der Digitalisierung und immer stärker vernetzten Systemlandschaften führt die Variantenvielfalt auch zu einem Individualisierungsdruck – gesteigerte Kundenansprüche und -wünsche, kürzere Produktlebenszyklen sowie vielfältige gesetzliche Bestimmungen beeinflussen automatisch die Beschaffungslogistik. Bezüglich der Vermeidung, Reduzierung (Lean-Gedanke – siehe dazu auch Lean-Produktion und Lean-Management) und Beherrschung der einhergehenden Komplexität kommt dem Logistik- und Beschaffungsbereich somit eine hohe Bedeutung zu.

So erhöht sich die Arbeitsbelastung durch abnehmende Losgrößen, es steigen die Einstandspreise für eine Standardkonfiguration wegen der sinkenden Bestellmengen. Bei gleichzeitiger Zunahme individueller Bestände wird die Disposition aufwändiger und schon in der Phase der Produktentstehung erhöht sich der Aufwand durch zusätzliche Vorgänge bezüglich der Lieferantensuche und -auswahl (verschiedene Bauteile). Ebenso nehmen die Wareneingangskontrollen zu. Auch weil nicht mehr 1.000 gleiche Teile angeliefert werden; sondern unzählige verschiedene Teile, verteilt auf unzähligen Lieferscheinen – die Kontrollen nehmen entsprechend mehr Zeit in Anspruch. Ein suboptimales Variantenmanagement lässt sich in diesem Bereich auch schon erahnen, wenn die Beschaffungskosten steigen und sich die Logistikkennzahlen zum Beispiel bei Bestandshöhe und Reichweite verschlechtern. So kann auch die Eingangsprüfung ein gewagtes Zeitmanagement darstellen: die Erstmusterprüfungen können unverhältnismäßig steigen oder die Belegung und Auslastung der Lagerplätze stark zunehmen.

Zusammenfassung

Das Variantenmanagement befasst sich damit, nicht benötigte Produktvarianten zu eliminieren und zukünftig zu vermeiden, während es gilt, die benötigten Varianten zu beherrschen. Dabei sollen aus möglichst wenigen unterschiedlichen Einzelteilen und Baugruppen möglichst viele Endprodukte entstehen können, die sich modular fertigen lassen.

Sie interessieren sich für das Thema Variantenmanagement, dann lesen Sie auch die Artikel Collaborative Planning, Forecasting und Replenishment / CPFR sowie Product Lifecycle Management / PLM.

* Tonja Schmid – Variantenmanagement – Lösungsansätze in den einzelnen Phasen des Produktlebenszyklus zur Beherrschung von Variantenvielfalt