Der Erfolg des E-Commerce trägt dazu bei, dass viel Luft in Paketen verpackt und in Lkw transportiert wird. Um das zu vermeiden, setzt das gemeinsame Forschungsprojekt zwischen TUP und Bosch Automotive Aftermarket auf KI.

Ineffizientes Packen in der Packerei verursacht Kosten und belastet die Umwelt

Das Problem ist nicht neu: Online georderte Waren werden häufig in übergroße Pakete gepackt, die nicht immer in bestmöglich ausgelasteten Transportmitteln zum Endkunden gelangen. Dass es im E-Commerce schnell gehen muss, führt zusätzlich zur Materialverschwendung dazu, dass hier wie dort zu viel Luft im Prozess ist. Der Erfolg des Onlinehandels verschärft den Handlungsdruck zusätzlich.

Eduard Wagner - CIO

„Die Packstückoptimierung oder Case Calculation ist ein logistisches Kernproblem. Es ist jedoch komplex zu berechnen, da für die Lösung sehr viele Rahmenbedingungen zu erfüllen sind.“

– Eduard Wagner, TUP-CIO

Das Ziel ist eine wirtschaftliche Lösung des "Multi-Level 3-Dimensional Multi Bin-Size Bin Packaging Problem"

Schließlich gilt es dabei – jeweils aufeinander abgestimmt –, die Artikel einer Bestellung auf Packmittel aufzuteilen, die Packreihenfolge der einzelnen Elemente in einem Packmittel festzulegen sowie diese Packstationen und Lieferpaletten im Lager zuzuordnen. Hinzu kommt die Wahl des bestmöglichen Lieferfahrzeugs. Viele Ansätze beschränken sich vor diesem Hintergrund auf die Optimierung innerhalb der Teilaspekte Kommissionierung, Verpackung und Transport. Das Forschungsprojekt „Das perfekte Paket“ hatte sich hingegen auf die Fahnen geschrieben, möglichst viele Teilprobleme zeitgleich und zusammen zu adressieren: Auf Initiative von TUP hin widmeten sich zwischen Januar 2021 und Januar 2022 das Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme (IFL) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), das auf KI-Anwendungen spezialisierte Softwareunternehmen Amai und Bosch Automotive Aftermarket so dem „Multi-Level 3-Dimensional Multi Bin-Size Bin Packaging Problem“. Dabei setzten sie vor allem auf Methoden künstlicher Intelligenz. Während das KIT im Projekt vor allem für die Grundlagenforschung zuständig war, steuerte Amai Expertise bei der Entwicklung von KI-Algorithmen bei – und TUP brachte Prozesswissen aus der Intralogistik ein. Bosch Automotive Aftermarket trat als Kunde auf und erlaubte den Konsortialpartnern, das Modell unter Realbedingungen am Standort Karlsruhe zu testen.

Im Projektverlauf wurden über Simulationen rein mathematische und metaheuristische Algorithmen gegen Methoden der künstlichen Intelligenz gematcht. Schnell zeigte sich, dass mathematische Modelle in Bezug auf die Rechenleistung an Grenzen stießen, das sogenannte Reinforcement Learning aber Potenziale zur Verkürzung der Rechenwege barg. „Eigentlich braucht man die Ergebnisse ja in Echtzeit“, erläutert Wagner. Beim Reinforcement Learning bringe man einer künstlichen Intelligenz bei, ein Paket zu packen. „Durch das wiederholende Lernen erlernt ein System tatsächlich, wie es am sinnvollsten entlang von Zielgrößen und Grenzbedingungen agiert.“ Zielgrößen können sein, möglichst wenig Pakete einer Größe so zu packen, dass möglichst wenig Luft verbleibt. Grenzbedingungen beziehen sich etwa auf Maximalgewichte oder vorgegebene Kantenlängen.

„Die in jedem Aspekt optimale Lösung auszurechnen, ist unmöglich. Das würde Jahre dauern. Die Kunst liegt darin, das Problem mathematisch herunterzubrechen und die Prozesse in der Intralogistik zielgenau abzugrenzen. Das Zielsystem am Anfang aufzusetzen, war daher eine der härtesten Nüsse des Projekts.“

– Daniel Hille, TUP-Projektleiter

Danach galt es unter anderem Trainingsdaten aus einer Simulation zu gewinnen, ein Reinforcement-Learning-Modell zu erstellen, eine geeignete intuitive grafische Schnittstelle (Graphical User Interface – GUI) zu entwickeln, alles zu einem Gesamtsystem zu integrieren und schließlich eine Evaluation am Demonstrator durchzuführen.

Gefördert wurde das Projekt im Rahmen des KI-Innovationswettbewerbs Baden-Württemberg des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau des Bundeslandes. Der Wettbewerb hat sich zum Ziel gesetzt, Verbundforschungsprojekte zwischen Forschung und Wirtschaft zu schaffen, über die der Transfer von KI-Technologien und -Wissen in kleine und mittlere Unternehmen beschleunigt werden soll.

Cover image ai-based reinforcement learning

"KI-Innovationswettbewerb Baden-Württemberg" als Kooperationschance und Wettbewerbsvorteil

„Als Mittelständler haben wir Projekte, wir haben konkrete Kunden und wir haben eigentlich keine Zeit“, so Wagner. Entsprechend habe es immer eine gewisse Scheu gegenüber wissenschaftlichen Vorhaben gegeben, die über die eigene Forschung und Entwicklung hinausgehen. „Auf der anderen Seite ist das natürlich eine Frage von Finanzierungsmöglichkeiten.“ Die finanzielle Schützenhilfe des Ministeriums erlaubte es nun, ein vierköpfiges Kern-Forschungsteam innerhalb des mittelständischen Unternehmens aufzubauen.

„Insgesamt hatten bei TUP aber sicher 20 Leute oder mehr irgendwann Kontakt mit dem Projekt“, sagt Projektleiter Hille, der sich über ein „Nebenprodukt“ besonders freut: In dem guten Jahr betreuten die Konsortialpartner fünf Abschlussarbeiten zu verschiedenen Aspekten des Multi-Level 3-Dimensional Multi Bin-Size Bin Packaging Problem. „Ein Forschungsprojekt öffnet viele Horizonte und Anknüpfungspunkte in andere Bereiche hinein, die innerhalb der kurzen Zeit aber nicht beleuchtet werden können“, erklärt Hille. „Abschlussarbeiten sind eine gute Gelegenheit, in bestimmte Bereiche noch einmal tiefer einzusteigen – und dabei Unterstützung aus der Praxis zu bekommen.“ Bei TUP etwa war eine Masterarbeit zum Thema „Grafische Benutzeroberfläche (GUI) im Pack-, Konsolidier- und Verladeprozess des Distributionszentrums“ angesiedelt.

Der Lackmustest für das Forschungsprojekt war jedoch der Praxiseinsatz: Am 20. Oktober 2021 stellte Bosch Automotive Aftermarket den Konsortialpartnern Teile eines Logistikzentrums am Standort Karlsruhe zur Verfügung, um das entwickelte System über Beispielaufträge zu testen. Eine zufällig ausgewählte Kundenlieferung, die Automotive-Komponenten wie beispielsweise Zündkerzen oder Luftfilter umfasste, wurde jeweils ausgelagert und dann in zwei Konstellationen gepackt: einmal nach dem bisher verwendeten Algorithmus in sieben Packmittel – und einmal nach dem neuen Algorithmus in sechs. „Indem wir echte Lieferungen mit echter Ware gepackt haben, konnten wir beweisen, dass das, was wir berechnet haben, wirklich funktioniert – und live sehen, dass wirklich sechs statt sieben Pakete gepackt wurden“, erläutert Daniel Hille.

Der Demonstrator ermöglichte zudem Zugang zu Praxisdetails, die aus der Simulation noch nicht hervorgingen: So hatte das Modell teilweise berechnet, dass die Artikel zu Türmen gestapelt werden sollen – die in der Praxis jedoch instabil sind und vermieden werden sollten. „Der Live-Test hat unter dem Strich sehr gut funktioniert und gute Erkenntnisse gebracht“, resümiert Hille. Ähnlich sieht es offenbar auch Bosch Automotive Aftermarket: Das Unternehmen zeigte sich sehr angetan von den demonstrierten Einsparpotenzialen und arbeitet aktuell an der Integration in den produktiven Betrieb. Dies erfolgt zunächst an einem Standort, um auf diesem Wege das Potenzial für den Einsatz in weiteren Unternehmensteilen zu evaluieren.

Dieser Bericht erschien zuerst in der Ausgabe 10/22 von Logistik Heute, die Autorin des Beitrages ist Therese Meitinger. Durch die TUP-Redaktion wurden kleine textliche Veränderungen sowie zusätzliche Zwischenüberschriften eingefügt.

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