Seit Jahren forschen Automobilhersteller, wie auch die US-Unternehmen Google und Apple (Spekulation) daran, die Idee des autonomen Fahrzeugs endlich Realität werden zu lassen. Bisher ohne Erfolg. In der Intralogistik sind fahrerlose Transportsysteme (FTS) dagegen schon seit Jahren erfolgreich im Einsatz – allerdings unter speziellen Randbedingungen. Und ob die Technologie aufgrund dieser Randbedingungen tatsächlich für den Straßenverkehr zugelassen wird, ist meines Erachtens eher fraglich. Gemeinsam mit Volontärin Lucia Winsauer beleuchte ich den Markt der sogenannten Autonomik und darf eines vorweg verraten: überholt wird noch nicht.
Der Artikel ist im Vorfeld auf dem Technik-Blog MobileGeeks erschienen.
Seit den 1950er Jahren setzen Forscher alles daran, Autos ohne Fahrer am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Autos, die alle Aufgaben des Fahrens übernehmen, die Umwelt entlasten und den Autofahrer zum Passagier machen. Ins Auto einsteigen, den Lieblingsfilm auf dem Tablet starten und losfahren „lassen“. So oder so ähnlich stelle ich mir die Zukunft mit einem selbstfahrenden Auto vor. Eine wahrlich futuristische Vorstellung: Autos die selbst lenken, womöglich ein eigenes Bewusstsein entwickeln – alles ohne menschliches Zutun.
Autonomes Fahren: Wunschdenken oder bald Realität?
In den vergangenen zwei Jahren ist man dem Traum vom autonomen Fahrzeug tatsächlich ein ganzes Stück näher gekommen. Den populärsten Startschuss gab der Suchmaschinen- und Internetkonzern Google mit dem US-Patent auf die Technik zum Betrieb von autonomtuen Fahrzeugen. Es folgten zwischen 2011 und 2014, auf dafür präparierten Strecken, unzählige Testfahrten.
Das Ergebnis ist ein Fahrzeug, welches komplett von einem Computer gesteuert wird und sich anhand von unzähligen Sensoren orientiert. Das seltsam anmutende und autonome Vehikel wurde erstmals im Rahmen der Recode-Konferenz vorgestellt und kam anfangs ohne Pedalen für Bremse und Gas aus. Auch ein Lenkrad suchte man vergebens.
2015 sollen diese Hilfsmittel allerdings im Rahmen einer Testphase an Bord sein. Das Testfahrzeug ähnelt äußerlich einem tic tac auf Rädern und bietet lediglich Platz für zwei Personen. Ob es auch eine familientaugliche Variante geben wird, hängt wohl vom Erfolg der in Kalifornien stattfindenden Testfahrten ab.
Erstaunlich gut funktionieren bereits die Testfahrten bei dem Lexus RX 450H. Auch er gehört zur Google-Driveless-Car-Flotte und wurde vom Solinger Ingenieur Sebastian Thrun entwickelt. Mehr als 100.000 Meilen soll das Fahrzeug bereits gefahren sein und glaubt man Google, ohne einen spürbaren Unterschied zu einem Auto, welches manuell gesteuert wird. Google Mitbegründer Sergey Brin hat für dieses Projekt sogar schon einen Massenstart in knapp drei Jahren angekündigt – viele Autohersteller halten dieses Vorhaben allerdings für nicht realistisch.
Auch andere Automobilhersteller sind im Boot
Auch der Automobilhersteller Mercedes versucht ins autonome Segment einzutauchen. Dabei setzen die Schwaben optisch auf eine Mischung aus „Star Wars“ und „Zurück in die Zukunft“: außen hui, innen huihui. Auf der Technik-Messe „Consumers Electronics Show“ (CES) in Las Vegas stellte der Konzern seinen Prototypen, den Mercedes F015 vor. Aerodynamisch, stylisch und weit entfernt vom Normalo.
Alleine dafür installierte Mercedes sechs Rundum-Displays sowie Monitore in den Seitenwänden. Besonders spannend ist die Konzeption, einen Elektro-Antrieb mit Brennstoffzelle aufprallgeschützt integrieren zu können. Ein etwas dezenteres Design verfolgte Mercedes dagegen mit der S-Klasse, die bereits 2013 erstmals vorgestellt wurde und auch unter dem Projektnamen Bertha bekannt ist.
Sei es drum, dass die Autos letztendlich so unterschiedlich aussehen, hängt wohl auch mit den Intentionen des jeweiligen Konzerns zusammen.
Google-Mitgründer Sergey Brin auf der IT-Konferenz Code Conference
Es fehlt an öffentlichen Verkehrsmittel in vielen Teilen der USA und Google will einen Teil dazu beitragen, dass sich die Welt für den Menschen verändert – vor allem aber sollen diejenigen davon profitieren, die bislang nicht gut mit Mobilität versorgt werden
Alexander Mankowsky, Zukunftsforscher bei Daimler
Raum ist im Zusammenhang mit dem Automobil ein vielschichtiges Wort. Es beschreibt zum einen, wie der Mensch in der Lage ist, die Umgebung wahrzunehmen, Entfernung zurückzulegen und Zeit zu durchmessen. Zum anderen ist das Auto selbst ein Raum auf Rädern und oft eine private Lebensumgebung, in der man viel Zeit verbringt.
Audi, Nissan, BMW und General Motors setzen auf Autonomie
Da derzeit noch die Wiener Straßenverkehrskonvention gilt, welche besagt, dass ein Fahrer jederzeit die volle Kontrolle über das von ihm bewegte Fahrzeug haben muss, sind die meisten Autos, die autonom gesteuert werden können, weiterhin auch manuell bedienbar (Bundesgesetzblatt). Aber auch dort sind Anpassungen in Sicht.
Volvo startete beispielsweise 2014 das Projekt „Volvo Drive Me“ in Göteborg, bei dem am Ende 100 Autos autonom und gleichzeitig durch einen vorher abgesteckten Stadtverkehr fahren sollen, bei Bedarf der Mensch aber ins Geschehen eingreifen darf. Derzeit lässt das Unternehmen die Autos auf Straßen testen, auf denen oft Pendelverkehr und Staus vorhersehbar sind – hohe Geschwindigkeiten also ausgeschlossen werden können und Menschen beziehungsweise andere Verkehrsobjekte selten vorkommen. Doch auch Volvo will 2017 die ersten Autos auf nicht zuvor ausgesuchten Straßen fahren lassen.
Und wenn so viele der Global-Player an so einem Prestigeobjekt tüfteln beziehungsweise forschen, darf das US-Unternehmen Apple nicht fehlen. Der iKonzern plant gemeinsam mit Volvo und Ingenieuren von Daimler das sogenannte iCar, iMove…wie auch immer. Derzeit handelt es sich dabei aber lediglich um Spekulationen; beziehungsweise streitbare Diskussionen, wie die vom Apple-Mitbegründer Steve Wozniak.
Fahrerlos? In der Intralogistik bereits Standard
„Das Auto befindet sich derzeit in einem langjährigen Prozess der Weiterentwicklung“, offenbarte kürzlich Eric Schmidt, Google Executive Chairman, gegenüber dem Wall Street Journal. „Nur weil es noch keine autonomen Fahrzeuge auf unseren Straßen gibt, handelt es sich ja nicht gleich um einen Flop-Projekt.“ Wahrscheinlich hat er damit Recht. Dennoch, was sich Schmidt und Co. sehnlichst herbeiwünschen, gehört in der Industrie, speziell in der Intralogistik, seit Jahren bereits zum Standard. Grundsätzlich benötigen fahrerlose Fahrzeuge die passende Infrastruktur: In der Intralogistik als Industrie-Grid definiert.
„Bewegt sich die FTS-Technologie in einem automatisierten GRID, wie es zum Beispiel in einem Warenlager der Fall ist, sind die Wege der Fahrzeuge klar definiert und kalkulierbar“, so der Wirtschaftsingenieur von TUP, Frank Obschonka. „Ein Grund, warum seit Jahren in Distributionszentren, Lagerhallen und Fertigungshallen diese Art Fahrzeuge komplett ohne einen Fahrzeugführer fahren.“ Möglich machen das festgelegte Routen und Navigationssysteme, über die die Transportfahrzeuge zu ihren Zielen navigiert werden. Zielvorgabe, Verkehrsregelung und Datenaustausch erfolgen über einen zentralen Materialflussrechner.
„Mittels Kamera, Sensorik und eben diesem Kartenmaterial ist es dem Fahrzeug möglich, sich ohne RFID beziehungsweise Magneten durch die Hallen zu navigieren. Über eine spezielle Vernetzung mit anderen Fahrzeugen, können Lageraufgaben kooperativ und komplett autonom aber auch gemeinsam mit dem Menschen geschehen.“
Stichwörter wie Kollisionsvermeidung in 2D und 3D, Paletten-, Regal- und Trailer-Erkennung, Freiraumvermessung, selbstorganisierte Kooperation mit anderen FTS sowie die dynamische Fahrwegsplanung zeigen die Komplexität und die Möglichkeiten einer einzelnen Auftragsabwicklung – Industrie 4.0 lässt grüßen.
Der Mensch: der unberechenbare Fremdkörper
Betrachtet man alleine die digitale Herausforderung global, begegnet man wahrscheinlich direkt an jedem „Grenzübergang“ nationalen Unterschieden. Sprich, unterschiedliche Schnittstellen, Topologien sowie unterschiedlich verwendete Hardware; aber auch die unterschiedlichen und ländertypischen Verkehrsregeln werden zum digitalen Stoppschild. Auch sind juristische Fragen wie „wer haftet bei einem Unfall?, was passiert bei einem Hacker-Angriff?“ noch nicht beantwortet.
„Die Haftungsfrage lässt sich vermutlich noch am leichtesten beantworten, aber wie gehen wir mit den Technologie-Skeptikern um und wer bezahlt die notwendigen Peripheriesysteme? Denn eines muss man klar sagen: Ein Hybrid-Verkehr mit vielen herkömmlichen Autos und nur wenigen autonomen Autos wird nur schwer funktionieren. Die Autos müssen untereinander vernetzt werden und jedes nichtvernetzte Auto ist in einem solchen Szenario ein unberechenbarer Fremdkörper“, bringt es Journalist Falk Hedemann auf den Punkt.
Hedemann durfte 2014 auf der CES in Las Vegas ein kleines autonomes Szenario bewundern. „Dabei waren zwei Fahrerassistenzsysteme zu erleben, die man als frühe Vorstufen zum autonomen Fahren bezeichnen kann. Neben der vollautomatischen Einparkhilfe, die man von außerhalb des Autos bewundern durfte, ging es dann noch auf den Highway von Las Vegas. Dort wurde von der State Police ein künstlicher Stau erzeugt, so dass die fahrbare Geschwindigkeit unter 50 Kilometer pro Stunde fiel. Ab da übernahm der Staupilot das Auto komplett und regelte die Geschwindigkeit und die Lenkung des A7. Der Fahrer konnte die Hände vom Lenkrad nehmen und sich anderen Aufgaben zuwenden. In unserem Fall drehte er sich zu uns nach hinten um und sprach mit uns.“
Dennoch, es sind nicht nur nichtvernetzte Autos unberechenbare Fremdkörper, es sind natürlich auch Fußgänger, Radfahrer und andere Straßenverkehrsteilnehmer, auf die es zu reagieren gilt. Genau hier sieht Frank Obschonka das Kind, gerne auch autonom, in den Brunnen fallen: „Das menschliche Gehirn ist so komplex und bis heute nicht wirklich stichhaltig erforscht; von „Superrechner“ beileibe nicht adaptiert – lediglich digital plagiiert. Unvorhersehbare Ereignisse bleiben so einem Computersystem unverständlich, nicht real und auf die Situation bedingt für ihn unmöglich abzubilden. Ein menschliches Gehirn schafft das tausendfach am Tag.“
Autonomes Fahren. Ein vorläufiges Fazit
Wie schon im Artikel erwähnt; in einem dafür vorgesehenen Industrie-Grid ist das autonome Fahren ohne Probleme möglich. Denn dort sind alle Vorgänge vorhersehbar, sämtliche Routen im System berechnet. Selbst das Inventar des Lagers untereinander ist vernetzt und vermessen – die digitale Lager-Karte als lokale Map, inklusive den nötigen Parametern, im Fahrzeug abrufbereit gespeichert.
Auf deutschen beziehungsweise europäischen Straßen sieht dieses Szenario weniger vernetzt aus. Kein vernetztes Kataster, „noch“ keine sichere Robotik, kein autonomes Fahrzeug mit zuverlässigem Computing : In naher Zukunft werden wir genau aus diesem Grund keine Google-Kugel und keinen imposanten Mercedes auf unseren Straßen fahren sehen. Zumindest nicht gemeinsam am jetzt vorherrschenden und herkömmlichen Straßenverkehr – und in Europa. So ist eine Mischform Mensch-Maschine erst dann möglich, wenn Computer die Leistung des menschlichen Gehirns adaptieren können. Und spätestens dann stellt sich die Frage: wollen wir das überhaupt.
Mercedes-Benz-F-015-Bilder: Ian Muttoo Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0
Teaser-Bild: JD Hancock / Lizenz: CC BY 2.0