Interview mit Eduard Wagner: Die CIO-Perspektive auf den Deutschen Logistik-Kongress 2019
Um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen in den Mittelpunkt zu stellen, wählte der Deutsche Logistik-Kongress 2019 das Motto „Mutig machen“. Die Idee dahinter ist es, eine Plattform zu bieten, um den Veränderungen nicht mit „German Angst“ zu begegnen, sondern mit dem Gegenentwurf aus der Lean-Production „Machen statt Planen“. Im dritten und letzten Teil der Reihe schildert unser Chief Information Officer Eduard Wagner seine Eindrücke.
Was sind die drei wichtigsten Trends der Intralogistik für 2020 aus der Warte eines CIO?
Eduard Wagner: Aus meiner Perspektive: Industrielle Anwendung von Systemen mit künstlicher Intelligenz, intensives Nachdenken darüber wo und wie fahrerlose Transportsysteme eingesetzt werden können. Der dritte Trend ist für mich Automatisierung. Man merkt, dass die Leute da draußen verstehen, dass Personal fehlt und man dennoch in der Lage sein muss, das zu kompensieren. Parallel dazu werden die Maschinen auch immer flexibler einsetzbar.
Um den Trend KI nochmal aufzugreifen, da herrscht große Angst in der Branche auf Grund der schweren Greifbarkeit des Themas: Aus meiner Warte ist KI so als Buzzword missbraucht, dass man vorsichtig sein sollte, wenn man das Wort in den Mund nimmt. Im Augenblick scheint fast jeder den KI-Sticker auf alles zu kleben, was irgendwie mit Optimierung zu tun hat. Was schade ist, denn das hat auf dem Kongress dazu geführt, dass beispielsweise der Vortrag „Beyond Logistics“ im Publikum für Unruhe gesorgt hat, obwohl Olav Strand eigentlich gute und spannende Themen hatte. Ich hatte das Gefühl, das viele aus dem Vortrag gegangen sind und sich vermutlich dachten „Jessas, Maria! Ohne Physiker, Mathematiker und Leute, die etwas von Algorithmik verstehen, komm ich hier sowieso nicht weiter.“
In Deutschland, beziehungsweise Europa, fehlt dieses Ziel, auf das AI-Technologien hinarbeiten sollen.
Ich denke eine mögliche Erklärung dafür ist, dass viele in ihrem Alltag wenig mit statistischen Methoden zu tun haben. Da kann so ein Begriff wie „Regression“ schon Angst machen, obwohl es ein ganz einfacher Algorithmus ist, den ich bereits als Student kennengelernt habe. Wir haben jetzt einfach nur ein Vielfaches an Leistung, um diesen Algorithmus auf eine bisher nicht dagewesene Weise zu nutzen. Ähnlich verhält es sich mit Machine Learning: Das ist im Kern die Speicherung von statistisch aufbereiteten Datenfraktalen, in denen dann Mustererkennung betrieben wird. Der Erfolg hängt hier maßgeblich davon ab, die richtigen Daten in einer guten Qualität zu haben. Was ein viel zugänglicheres Problem ist.
Verstärkt wird dieses Dilemma dadurch, dass wir in Europa im Umgang mit Daten ein anderes kulturelles Umfeld haben, als beispielsweise die USA oder China. Beide dieser Länder haben eine klare Agenda definiert, was sie mit KI und ML erreichen wollen. In Deutschland, beziehungsweise Europa, fehlt dieses Ziel, auf das AI-Technologien hinarbeiten sollen noch. Das sehe ich als das eigentliche Risiko und nicht die Technik selbst.
Was sind denn Technologien in der Intralogistik, die man jetzt schon angehen und integrieren sollte?
EW: Es gibt bereits erste Lösungen für Predictive Analytics, die vielversprechend klingen. Viele sind hier allerdings noch vorsichtig, da die Einführung neuer Dateninfrastrukturen und die Investition in Datenerfassung sowie -integration zu kostspielig erscheint. Sich mit diesem Thema nicht umgehend zu beschäftigen, erachte ich allerdings als Fehler. Denn ich sehe, dass wir im Kleingeräte-Bereich immer mehr smarte, digitalisierte Geräte bekommen, die spezialisierte Peripherie ersetzen können.
Auch das Thema Echtzeit-Ortung innerhalb von Logistiksystemen wird immer einfacher. Da gibt es eine riesige Bandbreite an Lösungen, angefangen von Beacons über WLAN bis hin zu Interferenzsystemen. Daher habe ich angestoßen, dass wir das Wissen sauber konsolidieren und auch Lösungsansätze dafür bei TUP in petto haben, weil es letztlich die gesamte Logistik unterstützt: Im intralogistischen Prozess wird es immer wichtiger nicht nur zu sehen, dass etwas getan wurde, sondern auch zu wissen wie es getan wurde. Nur so können Optimierungskriterien identifiziert und Verbesserungen umgesetzt werden.
Ich glaube, dass der Bereich Exoskelette Gas geben wird.
Zum Trend Schwarmintelligenz habe ich eine andere Meinung, sie wurde zwar als Trendthema etabliert, doch ich sehe da noch einiges an Potential: Die fahrerlosen Transportfahrzeuge, die auf dem Kongress vorgestellt wurden, sollen zwar zukünftig wesentlich schneller sein, doch das ist aus meiner Sicht gegenüber aktuellen Sorter-Systemen, aktueller Fördertechnik, sogar gegenüber Menschen noch nicht wirklich konkurrenzfähig. Im Augenblick liegen die Leistungspotentiale der Automated Guided Vehicles noch um ein Vielfaches darunter. Das ist nicht attraktiv für einen Logistiker, der letztlich auf die Kosten schauen muss. Nur um fahrerlos unterwegs zu sein, wird keiner investieren. Oft findet der Einsatz von AGVs auch nur in den Randbereichen der Nachschubergänzungsarbeit statt.
Ich glaube, dass der Bereich Exoskelette Gas geben wird. Da habe ich viele Lösungen gesehen, die ich auch unseren Kunden vorschlagen würde. Viele Abläufe und schwere Tätigkeiten würden sich durch gute, einfache Exoskelette erheblich verbessern lassen.
Was war dein persönliches Highlight des Deutschen Logistik-Kongresses 2019?
EW: Was mir sehr gut gefallen hat, war der Vortrag „Batman vs. Superman – in den Hauptrollen Robert Langdon und Alice im Wunderland“ aus dem Segment „Neues aus den Logistik-Think-Tanks“ der Firma Ingenics AG. Hier wurden die Themen „Lean“ und Digitalisierung einprägsam zusammengebracht, was wir intern schon lange leben. Bereits in den frühen Phasen unserer Unternehmensgeschichte war unser Leitspruch „Erst vereinfachen, dann automatisieren“. Wenn wir von „Software follows function“ sprechen, dann meinen wir das auch so.
Denn das ist es, was uns seit über 30 Jahren in dem Nischenmarkt Intralogistik erfolgreich macht. Wenn es darum geht ein Logistikzentrum an die Leistungsgrenze zu bringen, können Standardlösungen dieses letzte Quant Leistung oft nicht mehr liefern. Das ist auch unsere Erfahrung aus einer Vielzahl von Projekten, dass ab einer gewissen Größe und Komplexität bestimmte Skalierungseffekte nur über individuelle Lösungen erreicht werden können, die dann ihre Investitionskosten durch die gesteigerte Prozesseffizienz auch schnell wieder einspielen.
Daher kommt auch unser Manufaktur-Gedanke, der auf dem Kongress wieder bestätigt wurde: Viele Firmen, die über ihre erfolgreichsten Lösungen gesprochen haben, haben klargestellt, dass sie nur dahin gekommen sind, weil sie es selbst umgesetzt haben. Letztlich machen die individuellen Geschäftsprozesse das Unternehmen aus und da liegt auch das Potential, sich von dem jeweiligen Wettbewerb abzugrenzen.
Voraussetzung dafür ist aber, dass ich diesen Prozessen eine signifikante Aufmerksamkeit gebe: Wenn ich nicht wirklich wesentlich besser sein will als andere, sondern einen Prozess wie die Logistik nur als Erfüllungsgehilfe meines eigentlichen Geschäftsprozesses verstehe, dann kann ich mir auch Standards dafür einkaufen. In dem Moment, in dem ich über diese Grenze gehe und das als Wettbewerbsvorteil voll in die Waagschale werfe, dann kommt man an so Leuten wie uns nicht mehr vorbei. Das bestätigt uns in unserer Vorgehensweise, alles aus der Prozessperspektive des Kunden zu betrachten.
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