Auf der diesjährigen LogiMAT in Stuttgart konnte ich mit Markus Müller, Senior Branchenmanager bei GS1 Deutschland, über die RFID-Technologie und die Pulkerfassung sprechen. Müller zeigte mir zudem in einem Experiment live, dass speziell die Pulkerfassung von unterschiedlichen Artikeln kein Problem mehr darstellt. Für Unternehmen dürfte vor allem Interessant sein, dass ein Einsatz von GS1-Barcodes beziehungsweise deren RFID-Tags nicht unbedingt den Austausch der bereits eingesetzten Hard- oder Software bedeutet.

Prinzip GS1? Firma? Verein? Wie verdient GS1 eigentlich Geld? Wie sieht beispielsweise eine GS1-Lizenz; und von welchem Invest sprechen wir?

Zunächst einmal ist die GS1 kein Verein sondern ein Dienstleister in Form einer GmbH. Dennoch sind wir eine Not-for-Profit-Organisation. So generieren wir zwar Umsatz, aus dem wir uns selbst finanzieren, Gewinne an Inhaber oder ähnliches werden allerdings nicht ausgeschüttet, sondern reinvestiert. Die GS1 gehört zu 50 Prozent dem Markenverband und zu 50 Prozent dem wissenschaftlichen Institut des Handels, dem EHI Retail Institute. Grundsätzlich verstehen wir uns als moderner Dienstleister im Kontext zu modernen Datenträger-, Identifikations- sowie Kommunikationsstandards. Und genau diese Standards sind heutzutage in jeder Branche, in jedem Unternehmen unabdingbar. Sie führen unserer Meinung nach dazu, dass unternehmensübergreifende Prozesse in allen Bereichen der Wertschöpfungskette effizient bleiben.

Leistungspaket

Da gibt es unterschiedliche Ansätze. Das Standardpaket beschreibt zu Anfang den eigentlichen Lizenzvertrag namens GS1 Complete. Mit dieser Lizenz erwirbt der Kunde die Möglichkeit, die GS1-Standards nutzen zu dürfen. Er erhält dazu eine eigene Basisnummer, den Global Company Prefix (GCP), die international von uns geschützt wird und in der Welt der Logistik einmalig ist. Somit garantieren wir vom Start weg, dass beim internationalen und unternehmensübergreifenden Datenaustausch keine Ziffern beziehungsweise Codes mehrfach vorkommen. Letzteres ist immens wichtig für Warenwirtschaftssysteme oder auch für die reibungslose Maschine-zu-Maschine-Kommunikation, bei der speziell der automatisierte und reibungslose Informationsaustausch zwischen Endgeräten gewährleistet wird (weitere Informationen zum GS1- und Barcode-Standard).

Invest für RFID?

Der hohe Grad der Automatisierung produziert natürlich Kosten. Aber auch dabei gibt es keine festen Größen. Die günstigste Variante ist immer ein Handheld. Diese Art Scanner-Technologie arbeitet genau, benötigt aber jemanden, der sie bedient. Dennoch, mit dem Reader kann ein Unternehmen RFID-technisch fast alles abwickeln – es entstehen lediglich die erwähnten Kosten durch Personal und manueller Nacharbeit. Dem gegenüber stehen fest installierte Gates und Scanner sowie Antenneninstallationen für das Netzwerk. Sie treiben die Kosten zweifellos exponentiell nach oben. Wie überall gibt es nach oben hin kaum finanzielle Grenzen.

Was muss ein Unternehmen einbringen, um auf GS1 umzustellen – also in der Regel. Wie groß ist der technische Aufwand? Muss beispielsweise die komplette Hard- oder Software oder gar beides ausgetauscht werden?

Hard- und Software müssen natürlich nicht zwingend ausgetauscht werden. Eine solche Praxis wäre für einige Kunden heutzutage organisatorisch wie auch finanziell schlichtweg nicht zu stemmen. Daher arbeiten wir mit vielen unterschiedlichen Solution-Providern aus der IT und Logistik zusammen. In der Regel haben die IT- beziehungsweise Software-Unternehmen unsere Standards bereits in ihren Systemen mit implementiert. Dem Kunden steht es also weitestgehend frei, welche Hard- und Software er einsetzen möchte oder ob beispielsweise logistische Einheiten wie Paletten oder einzelne Produkte mit unseren Standards gekennzeichnet werden. Auf den Punkt gebracht: Kauft man sich heutzutage ein modernes Warenwirtschaftssystem, spricht es bereits unsere Sprache.

Klar, dabei stehen speziell die Kleinsthändler immer im Kontrast. Sie arbeiten oftmals tatsächlich noch analog mit Kassenbuch und/oder Registerkasse. Sie werden sich schwer tun, ein Nutzen aus der fortschreitenden Standardisierung zu ziehen. Ein Vorteil entsteht tatsächlich erst, wenn ich eine integrierte Lösung einsetze die zum einen die Informationen in einen logischen Zusammenhang bringt und dadurch manuelle Arbeitsprozesse erspart – etwa in der Warenvereinnahmung, in der Artikelkennzeichnung oder im Kassierprozess. Kleine Einzelhändler müssen sich also zunächst überlegen, wie Vorteile generiert, wie die eigenen Prozesse vereinfacht oder gar eliminiert werden können.

Pulkerfassung via RFID? Dahingehend kenne ich einige Skeptiker. Wie funktioniert die Erfassung in der Masse, über die Funktechnik RFID?

Hierzu muss ich kurz erläutern, dass Herr Müller mir diese Art von „Warenerfassung in der Masse“ live auf der Messe LogiMAT 2015 vorgeführt hat. Dabei packte oder vielmehr quetschte er 20 etikettierte aber unterschiedliche T-Shirts in eine Plastiktüte und erfasste diese mit Hilfe eines Readers, der aussah, wie ein kleiner Handstaubsauger. Im ersten Versuch wurden alle 20 Shirts erfasst und über eine Software auf einem Tablet mit ihren unterschiedlichen Größen und Merkmalen gelistet. Nahm man ein bis zwei Shirts aus der besagten Plastiktüte, erfasste das Lesegerät auch nur die sich im Pulk befindlichen Waren – abzüglich der entwendeten.

Wir machen heute schon sehr viel im Bereich der Pulkerfassung, speziell in der Modebranche ist das Thema bereits gängige Praxis. Auch weil Textil derzeit das beste Umfeld für diese Art Erfassung ist. Denn alles, was mit RFID zu tun hat, leidet ein wenig unter den Einflüssen von Metall und Flüssigkeiten. Dazu zählen etwa Oberflächen-Reflektion, Absorbierung durch wasserhaltige Materialien und der klassische Stahlbau. Über sie wird das elektromagnetische Feld gravierend gestört. Bei Kleidungsstücken habe ich genau diese Störfaktoren relativ selten.

In der Praxis sieht es derzeit meist so aus: Wenn wir Artikel erfassen, sei es bei der Warenvereinnahmung, beim Versand oder am Kassensystem, scannen wir den einzelnen Barcode. Aus manueller Sicht, ein hoher Aufwand. Für eine reibungslose Pulkerfassung benötigen Unternehmen daher ein Erfassungssystem, welches nicht nur mit eineindeutigen Ziffern umgehen kann, sondern auch mit der Masse an Informationen, die dem jeweiligen Artikel im Vorfeld zugewiesen wird.

Daher wird auf dem RFID-Etikett ein Chip integriert, auf dem neben der klassischen GTIN zusätzlich eine eineindeutige Seriennummer gespeichert ist. Und genau diese Seriennummer ist die Grundlage für eine fehlerfreie Pulkerfassung. Bekommt ein Händler etwa seine Ware direkt vom Spediteur per LKW geliefert, können Scanner die Ware erfassen, ohne dass ein Mitarbeiter die Verpackungseinheiten öffnen muss – der Lieferschein wird also automatisch aus dem ERP-System gezogen und sofort digital abgeglichen. Ist der Lieferschein unvollständig, muss der Händler/Lagermitarbeiter lediglich die fehlenden Teile prüfen – eventuell im Karton nachschauen und nachscannen oder einen nicht vollständigen Lieferschein melden. ein manueller Kontrollprozess, der wesentlich schneller abzuwickeln und somit auch in Sachen Betriebskosten günstiger ist.

Und ja, natürlich gibt es Produktbereiche, beispielsweise Lebensmittel, bei der die RFID-Technologie samt Pulkerfassung noch nicht greift und daher nicht auf Einzelteil-Basis platziert wird. Dort werden eher Paletten oder Umverpackungen mit RFID gekennzeichnet.

Wagen wir mal einen Blick in die Glaskugel. Wie sieht das Erfassen von Gütern in 20-30 Jahren aus? Wird es das Prinzip des Barcodes dann noch geben?

Der nächste Step ist für die meisten Industrie 4.0. Für uns bedeutet das, dass jeder Artikel, jeder Gegenstand, jede beteiligte Hard- sowie Software miteinander kommuniziert und zudem eine klare Identifikation in der anfangs erwähnten Wertschöpfungskette hat. RFID ist dabei allerdings nur ein kleiner Baustein.

Für die Zukunft sagt mir mein Bauchgefühl voraus, dass wir zum einen mit Verfeinerungen in der RFID-Technologie rechnen dürfen. Aber auch in der optischen Identifikation wird es neue Möglichkeiten geben. Dabei werden in Zukunft Technologien immer intensiver und intelligenter verknüpft. Hochgeschwindigkeitskameras beispielsweise erfassen Produkte, speichern Informationen und Beschreibungen die auf der Verpackungen stehen und werten diese in Echtzeit aus. Zudem werden diese Informationen per RFID- und Barcode-Technologie gleichzeitig ins System eingespeist und abgeglichen.

Dabei muss uns klar sein, dass Verpackungen in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen werden. So erfasse ich den Formfaktor einer Cola-Dose samt Schriftzug leichter per Kamera, als etwa eine gefaltete Hose oder ein zerknittertes T-Shirt. Fest steht, die Geschwindigkeit mit der die Entwicklung in diesem Segment vorangeht, ist um ein vielfaches dynamischer als alles was wir in den letzten 20 Jahren kennenlernen durften.

Dennoch, die Barcodetechnik wird es auch in 20 Jahren noch geben. Die Unternehmen wollen allerdings immer mehr Daten zu den Produkten mitsenden; dafür braucht es immer neue Trägertechnologien, beziehungsweise Weiterentwicklungen der bestehenden Technik oder komplett neue Innovationen. Wahrscheinlich wird die logistische Zukunft eine Mischung aus neu und alt: Informationen werden auf verbesserter Trägertechnik platziert, mobile Endgeräte überwachen und steuern logistische Prozesse und klar, in Zukunft könnte ich mir auch Schnittstellen zum Verbraucher selbst vorstellen.