Quadratwurzelgesetz der Logistik
Ein Disponentenrätsel: „Wie hoch muss der Teilebestand sein, wenn zwei gleichgeartete dezentrale Lager zu einem Zentrallager zusammengelegt werden, sich sonst keine relevanten Veränderungen ergeben und die Teilebestände in den dezentralen Lägern vor der Zentralisierung jeweils 1000 Stück betragen?“ – Dieses Rätsel stelle ich häufig an den Anfang meiner Disponentenschulungen.
Nehmen Sie sich Zeit und versuchen Sie, das Problem vorerst mittels Ihrer Intuition bzw. Ihres „gesunden Hausverstands“ zu lösen!
Die Intuition und der gesunde Hausverstand neigen zur linearen Lösung und meinen, die Lösung mit 2000 Stück gefunden zu haben. Andere sind sich sicher, dass die Intuition fehlleitet, können aber das Rätsel trotzdem nicht lösen und andere wiederum raten einfach nur. Äußerst selten, dass ein – auch langjähriger – Disponent das Rätsel auf Anhieb löst.
Des Rätsels erste Lösung – Optimale Losgrößenrechnung
Eine mögliche Darstellung der Lösung des Disponentenrätsels führt über die berühmte optimale Losgrößenformel (Economic Order Quantity – EOQ) von Andler bzw. Wilson/Harris. Demnach ergibt sich die optimale Losgröße lediglich durch die Minimierung der Summe aus linearen Lagerhaltungskosten und umgekehrt expontiell verteilten fixen Rüstkosten (z.B. Transportkosten, Beschaffungkosten). Diese beiden Kostenbestandteile zusammen haben an einem Punkt ein Minimum, deren mathematische Ableitung die berühmte EOQ ist. Verdoppelt man beispielsweise den Periodenbedarf (z.B. Jahresverbrauch), dann steigt die EOQ nicht linear, verdoppelt sich also nicht, sondern wächst lediglich um den radizierten Faktor 2 (= Wurzel aus dem Faktor 2), das sind ca. 1,41; somit lautet die richtige Antwort auf das Disponentenrätsel: Der Teilebestand im neuen zentralisierten Lager muss ca. 1410 Stück umfassen. Hätten wir beispielsweise eine Verdreifachung des Periodenbedarfs, würden also 3 Läger zusammengeführt, dann erhöhte sich der Periodenbedarf um den Faktor aus der Wurzel von 3, mithin auf ca. 1730 Stück. Deshalb sprechen wir in der Logistik vom Quadratwurzelgesetz der Logistik (Timm Gudehus).
Wir sehen, dass eine Zusammenlegung von dezentralen Lagern zu einem Zentrallager (unter sonst gleich bleibenden Bedingungen) einen kostenwirksamen Bestandseffekt ergibt. Freilich ist in der Praxis noch vieles zu berücksichtigen. So werden bei einer Zusammenlegung von Lägern andere Kosten, zum Beispiel Transportkosten, steigen. Um die umfassende Betrachtung des Einzelfalls kommen wir nicht herum, aber ohne die Kenntnisse der Zusammenhänge von Statistik, Logistik & Supply Chain Management kommt man als Manager nicht weit.
Des Rätsels zweite Lösung – Das Gesetz der großen Zahlen
Eine zweite mögliche Darstellung der Lösung des Disponentenrätsels führt über die analytische Statistik. Diese besagt: Die Summe der Streuungen zweier dezentraler Stellen ist immer größer als die Streuung der Summe der dezentralen Stellen. Und zwar – modellhaft gesprochen – immer um den radizierten Faktor (= Wurzel aus dem Faktor). Dahinter steckt das berühmte statistische „Naturgesetz“, das Gesetz der großen Zahlen. Aufgrund dieses statistischen Gesetzes ist es vorteilhaft, beispielsweise die dezentral eingehenden Bestellungen für überregional verkaufte Artikel in einer zentralen Auftragssammelstelle zu aggregieren oder in einem Zentralrechner virtuell zusammenzuführen, dort zu analysieren und die weitere Bearbeitung zu disponieren. Die Vorteile einer solchen Zentraldisposition nehmen mit der Größe der Verkaufsgebiete eines Artikels zu.
Weitere Informationen zu Warenversorgung finden Sie unter Die Kosten nicht genutzter Chancen im Supply Chain Management.